"Nice guys" Gesellschaft der Freunde junger Kunst Baden-Baden Januar 2005


Mit dieser Ausstellung wird der langen institutionellen Freundschaft zwischen der Gesellschaft der Freunde junger Kunst und der Staatlichen Kunsthalle Baden-Baden ein weiteres Kapitel hinzugefügt. Und als Mitarbeiter der Kunsthalle freue ich mich sehr, hier als Gastkurator diese Ausstellung zu betreuen.


Dies ist umso erfreulicher, da die Gesellschaft mit Cordula Güdemann: »Nice Guys« ein lang bestehendes Desiderat erfüllt. Obwohl das Œuvre der in Wehr geborenen Künstlerin fast dreißig Jahre umfasst, ist dies die erste Einzelausstellung in ihrer badischen Heimat.

Cordula Güdemann zielt in ihrer Malerei mit Farbkraft und szenischer Zuspitzung auf heikle gesellschaftliche Themen und die Tücken des Zeitgeistes. Die Professorin für Malerei an der Kunstakademie Stuttgart stellt mit ihren Gemälden, Zeichnungen und Gouachen die grundsätzliche Frage nach der gesellschaftlichen Wirksamkeit von Kunst, Künstlern und Künstlerinnen. Was ist figurative Malerei in der Ära der Massenmedien noch zu leisten in der Lage? Anders als zahlreiche Zeitgenossen greift die 1955 geborene Künstlerin in ihren Bildern für die Beantwortung dieser Frage nicht die Ästhetik des Digitalen auf. Sie schildert nicht das Medium selbst, sondern thematisiert in buchstäblich leuchtenden Farben unsere Wahrnehmung einer Gegenwart, die geprägt ist von Geschwindigkeit, Massenhaftigkeit und der Gleichzeitigkeit von analoger und digitaler Bilderwelt.


Mit Pinsel und Zeichenstift fischt sie im unerschöpflich scheinenden Bilderstrom der Medien. Beim schnellen Durchblättern einer Illustrierten oder beim raschen Schalten durch die Fernsehprogramme gelangen unterschiedlichste Bildelemente unverbunden auf unsere Netzhaut. Ebenso geraten auf den Gouachen Cordula Güdemanns plötzlich Dinge in Nachbarschaft, die inhaltlich keinerlei Verbindung aufweisen. Analog den Kunst- und Wunderkammern der Vergangenheit präsentieren diese Arbeiten bei völlig wirklichkeitsfernen Größenverhältnissen Legosteine neben (menschlichen?) Organen oder ein physikalisches Modell an der Seite von Schwarzwaldtannen. Oder ist es andersherum und es handelt sich um das Brüsseler Atomium und Tannenbäumchen für Modellbau? Diese bewusste Indifferenz deutet an, welches kreative Potenzial diesem Auseinanderreißen gewohnter Seh-, Sinn- und Sachzusammenhänge innewohnt, das im gesamten Werk der Künstlerin feststellbar ist. Ihre Fundstücke der Alltagswelt breitet sie als programmatisch betiteltes »Verschiedenes auf Kissen« oder in »Über den Bergen« auf grellroten Farbbahnen vor uns aus. Die Künstlerin wird so zur Archivarin, zur Sammlerin, die den Strom der Gegenstände nach künstlerischen Gesichtspunkten neu ordnet und unserer rasanten Bilderflut ein bewahrendes und retardierendes Moment entgegensetzt.

 

Cordula Güdemanns Bildräume sind fiktive Orte, bühnenartige Konzepträume, in denen sich verschiedene Realitätsebenen durchdringen und in denen künstlerische Vision und Wirklichkeit aufeinander stoßen oder auseinanderdriften.


Wie weit die Bandbreite dabei ist zeigen ihre beiden großformatigen Landschaften von 2003 und 2004. Eine pessimistische Analyse im Gemälde von 2003 schildert unsere Gegenwart als trostlosen Friedhof zivilisatorischer Hinterlassenschaften irgendwo zwischen Kriegsschauplatz und Naturkatastrophe. Die dargestellten Gegenstände sind durch den Entzug der Lokalfarben größtenteils nicht mehr entschlüsselbar und zerbrochene Leitersprossen sowie ein Schädel künden von Tod.


Cordula Güdemanns Neugier an der Suggestivkraft von Farbe lassen sie 2004 das Motiv leicht verändert erneut malen - diesmal allerdings bunt. Bei der Wiederaufnahme des Bildvorwurfs geht mit der Buntfarbigkeit auch eine inhaltliche Verschiebung einher. Sie zeigt sich pointiert in der Verwandlung des Totenschädels in ein Clownsgesicht

Als Konstanten ziehen sich thematische Serien durch Cordula Güdemanns fast drei Jahrzehnte umfassendes Werk. In ihnen umkreist die Malerin ein Motiv, ein Thema und untersucht verschiedene Lösungen als immer neue Ansätze, möglichst direkt zu zeigen, wie vielgestaltig unsere Welt tatsächlich ist. Durch ihre so assoziations- und detailreichen Bildentwürfe genügen der Künstlerin dafür in der Regel 6-8 Werke. Umso beredter also die Tatsache, dass die jüngste Serie der »Cowboys«, die im Zentrum unserer Ausstellung steht, im Gesamten bereits jetzt 11 Gemälde umfasst und von einer großen Zahl Zeichnungen begleitet wird.

 

Die Verschiedenheit, ja Gegensätzlichkeit unseres Heute ist für Cordula Güdemann nicht über getreue Abbildung eines natürlichen Vorbilds darstellbar. Die meisten ihrer Arbeiten gestaltet sie deshalb als malerische Collagen. Für uns als Betrachter bedeutet dies, dass wir uns auf ein neues Sehen einlassen müssen, ein grundsätzlich gewandeltes Bildverständnis. Versatzstückartig kreiert die Künstlerin einen Großteil ihres Bildpersonals aus dem unerschöpflich scheinenden Bilderstrom der Medien. Micky Maus-Comics und Fotos von Steiff-Tieren stehen dafür ebenso Pate wie Abbildungen aus Militärzeitschriften und Managermagazinen.


Bei früheren Werken fanden diese Realbezüge in Form von Papiers collés kaum verändert Eingang. Bei den aktuellen Arbeiten jedoch rückübersetzt Cordula Güdemann diese Zeugnisse der wirklichen Welt in Malerei und Zeichnung.


So auch bei der Reihe der »Cowboys. Die Figuren sind durch die Attribute Hut und Stiefel sowie die allgegenwärtigen Pistolen markant als Cowboys gekennzeichnet. Erst bei genauerer Betrachtung wird deutlich, dass Gesichter und Körper größtenteils fehlen. An ihrer Stelle finden sich große rote Rosen, wurstförmig ineinander geschlungene Formen und in den Zeichnungen sogar Sessel oder ein Akkordeon. Hier zeigt sich Cordula Güdemanns Selbstverständnis als politische Künstlerin, das sich nicht in den gängigen Diskursmoden erschöpft. Anstatt sich in misanthropischer Nabelschau zu verlieren betreibt sie farbenfrohe Analyse, deren entwaffnendes Mittel der Humor ist. Mit viel Fantasie und beißender Ironie demaskiert sie die klassischen Wildwestattribute als pathetisch hohle Gesten der Macht: die zumeist US-amerikanischen, mit Virilität und Tatkraft ausgestatteten Prototypen von Buffalo Bill bis George W. Bush.


In Gemälden wie »Cowboy-Monument« wird die diesen Gesten immanente Gewalt durch einen breiten Clownsmund (de)maskiert. Ergänzend mahnt in »Cowboy-Mountain« und »Cowboy-Fontäne« das Nebeneinander von spritzenden Wasserpistolen und Fragmenten militärischer Raketen diejenigen, die über deren Einsatz entscheiden, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und das Arsenal weltweiter Kriegsführung nicht wie Spielzeug zu gebrauchen.


In anderen Werken sind die globalen Drohgebärden der Macht dagegen abstrahiert und manifestieren sich in härterer Formensprache und Farbkontrasten. Da werden Cowboys schlicht zu »4 boys« oder »Six boys« und die Gestalten nur auf ihren Kopf reduziert. Dieser wird zur fleischfarbenen Kugel, die kaum noch Ähnlichkeit mit menschlicher Physiognomie hat. Augen, Mund und Nase werden getilgt von Farbhieben, die wie Einschüsse die Leinwand überziehen und alles auslöschen.

 

Zunehmend führt heute die Disparität und Komplexität unserer Welt zu zynischer Unbeteiligtheit. In der Kunst beschränken sich Viele deshalb auf selbstreferentielle Themen und analysieren das Kunstsystem in immer kleineren Details. Cordula Güdemanns Kunst ist gerade das Gegenteil. Zwar sind Stetson, Stiefel und Revolver motivisch den USA zuzuordnen. Nichts wäre allerdings falscher, als daraus plump opportunen Anti-Amerikanismus abzuleiten. Genauso wie ihre Cowboys zumeist körperlos sind, genauso sind die von Cordula Güdemann als Wildwestmentalität thematisierten politischen Mechanismen nicht geografisch beschränkt, sondern global. Ihre Bildfindungen zeigen neben der Aktualität im Thematischen immer auch eine Allgemeingültigkeit der künstlerischen Aussage. Sie zeigt sich beispielsweise im Charakter ihrer Figuren, die eher fragmentarisch-zeichenhaft als leiblich erscheinen. So wird auch der Schenkel eines Cowboys in »Flower Power« plötzlich lesbar als Kopf seines Reittiers, Gesichter in »Lucky Times« entpuppen sich als dauerlächelnde Masken und die Uniformhosen der »Friedensengel« lassen als Tarnmuster Ausschnitte blauen Himmels erkennen.


Beim Anblick dieser übergroßen, martialisch anmutenden Beinkleider und Soldatenstiefel erwarten wir zu allererst männliche Figuren. Die weitgehende Geschlechtslosigkeit des Güdemannschen Bildpersonals konterkariert allerdings diese Erwartungshaltung. Spätestens seit den Bilderfluten mit der US-Soldatin Lynndie England und den Folterungen im irakischen Gefängnis Abu Ghraib ist jedem klar, dass Gewalt in Uniform nicht als spezifisch männlich apostrophiert werden kann. Angesichts dieser jüngsten Erkenntnis wird Cordula Güdemanns Reihe der »Friedensengel« von 1999/2000 geradezu visionär.


Gibt man im Internet »Nice Guys« als Suchbegriff ein, so erhält man eine Fülle an Ergebnissen. »Nice Guys« taucht auf als Film des Kung-Fu-Komikers Jackie Chan, als Plattentitel des Rapmusikers Guru und als favorisiertes Pseudonym vieler männlicher Singles in Online-Kontaktbörsen.


Vor dieser Bandbreite der Resultate macht der Ausstellungstitel »Nice Guys« besonders neugierig auf eine Begegnung mit den »netten Jungs von nebenan« als Protagonisten von Cordula Güdemanns aktuellsten Arbeiten.

 

Eröffnungsansprache: Dr. Oliver Kornhoff